Guter Sex – Schlechter Sex (von Stefan Eigenmann)

Thursday, 14 May 2009

Couple silhouette (Sxc.hu)Guter Sex – schlechter Sex

Eine ehemalige Miss Schweiz behauptete einmal in einem Interview in einer grossen Tageszeitung: „Ich habe immer guten Sex!“ Diese Selbstoffenbarung macht mich stutzig. Glaube ich ihr das? Wie ist das möglich? Lebt die Frau in einer langjährigen Liebesbeziehung? Wenn ja: Gilt diese Behauptung trotzdem oder gerade deshalb? Was löst das Wort „Sex“ im Zusammenhang mit den Worten „immer“ und „gut“ in mir aus? Werde ich neidisch? Kann erotische Qualität überhaupt allgemein gültig definiert werden? Was sind denn die Zutaten von „gutem“ Sex? Lässt sich mit „schlechtem“ Sex nicht auch gut leben? Ich merke, mit all diesen Fragen mache ich mir Druck und ich werde unruhig.

Wenn ich diesem Druck nachspüre, dann tauchen Ängste auf; zum Beispiel die Angst vor Leistungszwang, vor Versagen, vor Zurückweisung und Kränkung. Ich gehe davon aus, dass Sie solche Gefühle auch kennen. Wenn wir diesen „Dämonen“ in der Sexualität jedoch aus dem Weg gehen, bezahlen wir den Preis der Vermeidung. Das äussert sich bei mir darin, dass ich stumm werde. Ich verzichte dann darauf, mit meiner Frau offen über mein Begehren, meine Lust, meine wahren Wünsche und Abneigungen zu kommunizieren.

Sex auf dieser Grundlage lässt sich in zwei stereotype Reaktionsweisen einordnen. Erstens: Wir verhalten uns rücksichtslos und kümmern uns nicht um Bedürfnisse, weder um die eigenen noch um diejenigen unserer Partnerin. Oder wir schalten zweitens in den Schongang, das heisst, wir verhalten uns allzu rücksichtsvoll und gehen uns und dem Partner aus dem Weg. In beiden Fällen werden wir uns selbst gegenüber untreu. Dieses Verhalten muss nicht zwangsläufig zu „schlechtem“ Sex führen, aber es kann. Der Sexualtherapeut Ulrich Clement meint dazu:

Je mehr sich ein Paar vor ängstigenden Gefühlen schützt, sich ausschliesslich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner seiner Sexualität beschränkt, desto mehr vermeidet es sexuelle Kommunikation, die verbale wie die handelnde.

(Ulrich Clement)

Wenn Sie mit anderen Worten einen Weg finden, sich Ihre Angst vor Kränkung und Zurückweisung einzugestehen, und wenn es Ihnen ausserdem gelingt – in Kontakt mit Ihren Ängsten – über Ihre Lust sowie über Ihre Wünsche und Vorlieben zu reden, dann öffnen Sie sich für wahrhaftige und intime Begegnungen. Es würde mich nicht wundern, wenn Sie dann „guten“ Sex erleben werden, ähnlich wie die ehemalige Miss Schweiz, wenn auch nicht immer.


Stefan EigenmannStefan Eigenmann, geb. 1960, in 2. Ehe verheiratet, arbeitet in Bülach (CH) seit 2003 freiberuflich als Einzel-, Paar- und Sexualberater. In seiner ‘Werkstatt für Kontakt & Dialog’ begleitet er Einzelne, Paare, Familien und Gruppen in Krisen- und Konfliktsituationen sowie in Entwicklungs- und Veränderungsprozessen. Mehr auf Kontaktdialog.ch

Als lizenzierter The Art of Being®-Lehrer leitet Stefan Eigenmann ausserdem Seminare und Trainings. The Art of Being® ist eine ganzheitliche, vom Tantra inspirierte Lebensschule für Liebe, Intimität und Bewusstsein. Zusammengefasst geht es um die lebenslange Lerneinladung, achtsam mit dem zu sein, was ist. Mehr auf Art-of-being.ch

Seit August 2007 erscheint im ‘Tages-Anzeiger’ (Zürcher Unterland) alle zwei Wochen eine Kolumne von Stefan Eigenmann. "Liebe, Lust und Stolpersteine" handelt von (allzu) menschlichen Erfahrungen mit der Liebe und der Lust.

2 thoughts on “Guter Sex – Schlechter Sex (von Stefan Eigenmann)

  1. Naja, das wird ja wohl auch etwas Selbst-Promotion der Miss Schweiz gewesen sein. Anderereseits, besser wäre für sie vielleicht wenn sie vorgibt gar keinen Freund zu haben.

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