Lösungen in Trance (Von Stefan Eigenmann)

Monday, 17 August 2009

Couple in front of tower.Lösungen in Trance finden lassen.

Den Partnern standen die Sorgen förmlich ins Gesicht geschrieben. Beide wirkten auf mich ängstlich und verletzlich. „Ihre Ehe steht momentan auf dünnem Eis?“, fragte ich den Mann mit unsicherer Stimme. Er senkte seinen Blick auf den vor ihm liegenden Teppich. Nach einem leichten Seufzer meinte er trocken: „Fragen Sie lieber meine Frau!“ Das zu tun wäre verführerisch gewesen. Ich wollte jedoch an dieser Stelle nicht weiter nach den aktuellen Schwierigkeiten fragen. Noch nicht.

„Ich möchte Sie beide zu Beginn des Gesprächs spontan zu einem kleinen Experiment einladen. Ob das eine gute Idee ist, weiss ich nicht. Sind Sie trotzdem dazu bereit?“ Ich schaute den beiden ruhig in die Augen und wartete auf ihr Nicken. Ihr Zögern und ihre Unsicherheit darüber, was sie von meinem Vorschlag halten sollten, waren verständlich. Aber immerhin veränderte sich die Stimmung im Raum; das Dunkle und die Schwere wichen einer Neugierde.

Lösungen statt Probleme im Fokus

Menschen in Not nicht gleich nach dem Problem oder den momentanen Schwierigkeiten zu fragen, kann irritieren. Zwar wirkt es für die meisten von uns erleichternd, wenn wir über aktuelle Sorgen und Nöte reden können. Und es ist durchaus wichtig, die jeweilige Klage zu würdigen und jemandem mitfühlend zu begegnen. Dieses Vorgehen birgt allerdings auch das Risiko in sich, dass das Problem allzu stark in den Fokus der Aufmerksamkeit gerät. Als Folge davon kann sich eine sogenannte „Problem-Trance“ einstellen. In diesem geistigen, emotionalen und körperlichen Zustand fällt es sowohl dem Berater als auch dem Klienten schwer, kreativ zu sein und sich für neue Lösungswege zu öffnen. Das aber ist eine wesentliche Aufgabe lohnender Beratung.

„Einmal angenommen“, fuhr ich fort, „Sie beide würden heute mit einem Gefühl der Zufriedenheit aus der Beratung gehen, und Sie wären am Ende der Sitzung davon überzeugt, hierherzukommen hätte sich total gelohnt.“ Mit diesen Worten wollte ich den inneren Blick in die Zukunft richten und das Paar für eine experimentelle Zeitreise gewinnen. „Nehmen wir weiter an, Sie wären nach fünf Sitzungen, also in etwa drei Monaten, voller Lob über die Beratung und vollständig zufrieden.“ Nach einer kurzen Pause setzte ich nach: „Und jetzt gehen Sie in Gedanken noch einen Schritt weiter in die Zukunft. Stellen Sie sich vor, Sie würden sich in einem halben Jahr von mir mit den Worten verabschieden, die Beratung sei ein satter Erfolg gewesen und Sie wären überaus happy darüber. Immerhin kommt das gelegentlich vor.“ Nach einer kurzen Atempause stellte ich dann die entscheidenden Fragen: „Woran würde Ihr Partner bzw. Ihre Partnerin erkennen, dass die Beratung erfolgreich war? Und was konkret wäre dann anders in Ihrer Beziehung und in Ihrem Leben? Was vermuten Sie?“

Nun breitete sich nachdenkliche Stille im Raum aus. Der Mann zupfte an einer Augenbraue und die Frau stützte ihren Kopf auf den Zeigefinger. Ihre glasigen Blicke gingen ins Leere, wie in einer Trance. Sämtliche Sinne waren in die Zukunft gerichtet und sie beschäftigten sich mit einem Leben, in dem die aktuellen Probleme nicht mehr vorkamen. Meine Aufgabe bestand jetzt vor allem darin, die Stille auszuhalten und das Paar bei der Lösungssuche nicht zu stören. In der Zwischenzeit erinnerte ich mich vage an ein Zitat, wonach Menschen, die ein Schiff bauen wollen, zuerst die Sehnsucht nach dem weiten offenen Meer spüren sollen. Oder so ähnlich.


Stefan EigenmannStefan Eigenmann, geb. 1960, in 2. Ehe verheiratet, arbeitet in Bülach (CH) seit 2003 freiberuflich als Einzel-, Paar- und Sexualberater. In seiner ‘Werkstatt für Kontakt & Dialog’ begleitet er Einzelne, Paare, Familien und Gruppen in Krisen- und Konfliktsituationen sowie in Entwicklungs- und Veränderungsprozessen. Mehr auf Kontaktdialog.ch

Als lizenzierter The Art of Being®-Lehrer leitet Stefan Eigenmann ausserdem Seminare und Trainings. The Art of Being® ist eine ganzheitliche, vom Tantra inspirierte Lebensschule für Liebe, Intimität und Bewusstsein. Zusammengefasst geht es um die lebenslange Lerneinladung, achtsam mit dem zu sein, was ist. Mehr auf Art-of-being.ch

Seit August 2007 erscheint im ‘Tages-Anzeiger’ (Zürcher Unterland) alle zwei Wochen eine Kolumne von Stefan Eigenmann. "Liebe, Lust und Stolpersteine" handelt von (allzu) menschlichen Erfahrungen mit der Liebe und der Lust.

 

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